Ortmann
Neueste Forschungserkenntnisse zu Johannes Pistorius d. Ältere
Von Prof. Dr. Volkmar Ortmann, Kirchen- und Theologiegeschichte Uni Gießen
Gedanken aus den Quellen über Pistorius und die sozialpolitischen Aspekte der Reformation
1. Ein Vorteil für beide Seiten: Johannes Pistorius und die Johanniter in Nidda
Es lohnt sich, die Finanzen im Blick zu behalten. Die früheste Erwähnung von Johannes Pistorius zum Beispiel findet sich in einem finanziellen Zusammenhang: Im Jahr 1528 erscheint seine Unterschrift als Pfarrer auf einem Dokument, das die Besoldung des Schulmeisters und des Pfarrers zwischen dem Rat der Stadt Nidda und den Johannitern regelt. Demnach sollen künftig die Johanniter für die Finanzierung der Pfarrstelle, die Stadt für die Finanzierung der Schule zuständig sein.
Das verwundert insofern wenig, als die kirchliche Reformation weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen hatte, die für weite Kreise viel deutlicher bemerkbar waren als die theologischen Streitpunkte. Auch der Hinweis darauf, dass Pistorius wohl seit 1525 Pfarrer in Nidda war, findet sich in einem Schreiben mit finanziellem Hintergrund: 1543 bittet Pistorius den Johanniterkomtur um eine Gehaltserhöhung und erwähnt beiläufig, dass er schon seit 18 Jahren den Pfarrdienst versehe.
Die Zuständigkeit des Johanniterordens für das Gehalt des Stadtpfarrers wird in einem landgräflichen Schreiben aus dem Jahr 1536 geregelt: Johannes Pistorius soll als Gehalt jährlich 44 Gulden von den Johannitern sowie 28 Gulden aus dem Altarvermögen der Stadtkapelle erhalten. Dieses Jahreseinkommen von 72 Gulden bewegte sich im Mittelfeld der damaligen Gehaltsskala. Viele Pfarrergehälter lagen wohl darunter, teilweise sogar bei nur 30 Gulden, einzelne deutlich darüber. In offiziellen Dokumenten werden für eine Pfarrstelle etwa 90-100 Gulden pro Jahr veranschlagt und als Minimum 60 Gulden vorgeschlagen.
Das Dokument aus dem Jahr 1536 bringt die Wertschätzung des Landgrafen gegenüber Pistorius zum Ausdruck, die hier ganz konkret im Gehalt erkennbar wird. Zudem war die hier getroffene Regelung auch für die Johanniter vorteilhaft, weil sie für einen Nachfolger von Pistorius deutlich mehr aufzuwenden haben würden.
Nicht zuletzt deswegen wurde nach dem Tod von Johannes Pistorius 1583 zwischen dem Landgrafen, der Stadt Nidda und dem neuen Pfarrherrn, Johannes Kempf, eine weitere Vereinbarung getroffen: Die Besoldung des Pfarrers wurde künftig von der Landgrafschaft sichergestellt, die im Gegenzug die Einkünfte des Johanniterhauses Nidda erhielt. Ein Dokument, dessen Bedeutung dadurch unterstrichen wird, dass davon noch in späterer Zeit Abschriften angefertigt wurden, wohl um den Rechtsanspruch belegen zu können. Es war wichtig, die Finanzen im Blick zu behalten
2. Den Armen Gerechtigkeit: Pistorius, das Evangelium und der „Gemeine Kasten“
Durch die Reformation erhielt die Armenfürsorge eine andere Gestalt. An die Stelle der Almosen für die Armen, die als gutes Werk für zum künftigen Seelenheil beitrugen, trat eine öffentliche Sozialversorgung nach Bedürftigkeit: der Gemeine Kasten.
Er speiste sich aus dem Vermögen der Klöster und Altarstiftungen, die im Zuge der Reformation von den Fürsten und Stadträten eingezogen wurden. Auch der Unterhalt der kirchlichen Gebäude und das Gehalt der Pfarrer wurde zumeist aus diesem Vermögen bestritten. Die Verwaltung oblag dem Bürgermeister gemeinsam mit dem Pfarrer und einem Kastenmeister.
Pistorius geriet dabei anscheinend wiederholt in Konflikt mit kommunalen Amtsträgern: Er bemängelte, dass sie Geld eher für eigene Zwecke als für die Bedürftigen aufzuwenden würden. Anscheinend hatten sie sich auch über die Prediger lustig gemacht.
Pistorius klagte jedenfalls darüber, dass auf diese Weise die Reformation weniger gefördert als vor allem behindert würde. Die Prediger seien es Gott und ihrem Gewissen schuldig, den Menschen das Evangelium zu verkünden und für ein gutes soziales Miteinander zu sorgen. Daher sei es gegebenenfalls auch notwendig, Amtsträger an ihre Pflichten zu erinnern, anstatt diesen nach dem Mund zu reden.
Ebenso trat er für einen Pfarrkollegen ein, der wegen ähnlicher Konflikte aus seinem Dienst entfernt worden war. Zu Unrecht, denn dieser sei doch nur für die Armen und das Recht eingetreten.
In gleicher Weise streitbar zeigte Pistorius sich im Umgang mit den Stiftsherrn in der Stadt Friedberg: Offenbar hatten sie sowohl Gespräche mit den Protestanten als auch eine Offenlegung ihrer Finanzen bzw. vereinbarte Zahlungen an die evangelischen Geistlichen verweigert. Im Gegenzug hatte sich Pistorius anscheinend dafür eingesetzt, Zinszahlungen aus dem Gebiet der Pfarrei Nidda an die Stiftsherren einzubehalten, bis diese ihren Verpflichtungen nachkämen. Er verlangte auch hier, die entsprechenden Finanzmittel für den Unterhalt des Gemeinen Kastens zur Verfügung zu stellen und sie dem Evangelium gemäß zu verwenden.
Reformation bedeutete für Pistorius, das Evangelium von der gnädigen Zuwendung Gottes zu den Menschen verkündigen zu können, frei und ohne Angst vor Repressalien seitens der Mächtigen. In gleicher Weise gehörte zu diesem Evangelium auch die Fürsorge für die Armen, die Einhaltung und Förderung von Recht und Gerechtigkeit.